Die eigenen Glaubenssätze herausfinden – aber wie?
- Freya Gosewisch
- 30. Sept. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Okt. 2024
Mit dem Verständnis über uns selbst erleichtern wir unseren Heilungsweg. Hier ist eine mögliche Vorgehensweise, die sich in der Praxis bewährt hat.
„Ich genüge nicht. Ich muss gefallen. Ich ecke an. Ich muss mich anstrengen, um geliebt zu werden. Ich darf nicht aus der Reihe tanzen. Ich muss mich zurückhalten, um Frieden zu bewahren.“ – Das sind einige Beispiele für gängige Glaubenssätze, die uns irgendwann im Leben fälschlicherweise eingetrichtert wurden und von denen wir nicht mehr loslassen können.
Diese entstehen, wenn unsere Grundbedürfnisse während der Entwicklung verletzt wurden. Als Kinder sind wir von unseren Bezugspersonen abhängig, und eine gestörte oder verlorene Beziehung zu ihnen bedeutete buchstäblich Lebensgefahr. Da Kinder noch nicht über die emotionale Intelligenz verfügen, solche Wunden zu verarbeiten, verstehen sie oft nicht, dass die Fehler bei den Bezugspersonen liegen und nicht an ihnen selbst.
Vereinfacht gesagt gibt es vier grundlegende Glaubenssätze:
1. Ich bin ok, die anderen sind ok.
2. Ich bin ok, die anderen sind nicht ok.
3. Ich bin nicht ok, die anderen sind ok.
4. Ich bin nicht ok, die anderen sind nicht ok.
Auf diesen vier Grundannahmen basieren alle weiteren komplexeren Überzeugungen.
Menschen mit dem Glaubenssatz „Ich bin ok, die anderen sind ok“ haben ein gesundes Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Sie können aufrichtig lieben, anderen vertrauen und angemessene Grenzen setzen.
Menschen mit dem Glaubenssatz „Ich bin ok, die anderen sind nicht ok“ empfinden die Außenwelt als unsicher oder gefährlich und misstrauen ihr. Sie neigen dazu, sich zu schützen, indem sie unnahbar wirken, Kritik üben, abwerten oder keine Hilfe annehmen.
Der Glaubenssatz „Ich bin nicht ok, die anderen sind ok“ führt dazu, dass sich Menschen selbst abwerten und sich unterwürfig verhalten, ständig vergleichen, verunsichert sind und an sich selbst zweifeln.
Der Glaubenssatz „Ich bin nicht ok, die anderen sind nicht ok“ kann eine Vielzahl von negativen Überzeugungen hervorbringen, da Unsicherheit sowohl in der Innen- als auch in der Außenwelt besteht.
Die folgenden 3 Punkte können Ihnen helfen, Ihre persönlichen unterbewussten Glaubenssätze herauszufinden.
1. Trigger identifizieren
Wenn wir uns persönlich angegriffen, verletzt, beleidigt oder unfair behandelt fühlen, liegt das oft weniger an der Situation selbst, sondern viel mehr an unserer individuellen Bewertung dieser.
Ein Beispiel: Stellen Sie sich eine Eigenschaft an sich vor, die Sie mögen und schätzen. Nun kommt jemand und beleidigt genau diese Eigenschaft. Was fühlen Sie? Nehmen Sie die Beleidigung ernst? Wahrscheinlich nicht. Wenn jedoch jemand etwas kritisiert, von dem Sie unterbewusst selbst befürchten, dass es wahr sein könnte, reagieren Sie emotional. Sie fühlen sich angegriffen, gekränkt oder verspüren den Drang, sich zu rächen oder die Person abzuwerten.
In diesem Moment haben Sie einen Ihrer persönlichen Trigger gefunden.
Diese Trigger weisen oft auf unverarbeitete Erfahrungen aus der Kindheit hin. Vielleicht wurden Sie oft von Ihren Eltern kritisiert, mussten zu viel Verantwortung übernehmen oder erhielten strenge Grenzen, die Sie in Ihrer Autonomie einschränkten. Solche Erfahrungen führen dazu, dass Sie sich immer noch schuldig fühlen – für Dinge, die Sie als Kind nicht erfüllen konnten, weil Sie entweder zu jung waren oder schlichtweg nicht perfekt sein konnten.
2. Die Wahl des Partners / des Freundeskreises
Welche Rolle nehmen Sie in Ihrem Freundeskreis und in Ihrer Partnerschaft ein? Gibt es Muster in Ihren Beziehungen – sei es zu früheren Partnern oder in Ihrer jetzigen Beziehung? Sind Sie eher der nachgebende oder bestimmende Part? Fühlen Sie sich für bestimmte Dinge verantwortlich, wie z. B. dafür, dass immer gute Stimmung herrscht oder Frieden gewahrt bleibt?
Auch wie Sie Anerkennung und Beliebtheit in der Gruppe suchen, spiegelt oft Ihre Glaubenssätze wider. Ein „Ich bin nicht gut genug“ wird häufig von Ihrem Partner widergespiegelt: Ihr Partner sieht Sie möglicherweise nicht als Priorität, ist oft abwesend oder behandelt Sie nicht besonders wertschätzend.
Menschen neigen dazu, sich in Gruppen zu sammeln, in denen ihre individuellen Glaubenssätze bestätigt werden. Ein Partner, der alles tun muss, um geliebt zu werden, trifft oft auf jemanden, der nur dann Wertschätzung empfindet, wenn der andere sich unterwirft. Echte Liebe oder Freundschaft bekommt so keine Chance, sich zu entwickeln.
3. Die Familie beobachten
Die Beziehung zu Ihren Eltern und Geschwistern – und manchmal auch zu den Großeltern – spielt eine große Rolle in Ihrem Erwachsenenleben. Wenn Sie Geschwister haben, werden diese wahrscheinlich andere Erlebnisse in der Familie beschreiben.
Ältere Geschwister übernehmen oft mehr Verantwortung und erhalten strengere Regeln, dafür aber auch mehr Anerkennung. Mittlere Geschwister gehen eher unter und beginnen oft, sich selbst zurückzustellen. Jüngere Geschwister oder Einzelkinder erhalten häufig mehr Fürsorge, aber weniger Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Sie versuchen oft, diesen Rückstand durch gute Leistungen auszugleichen oder bleiben in der Komfortzone des Umsorgten.
Eltern bringen zudem häufig ihre eigenen unverarbeiteten Wunden in die Erziehung ein. Kein Elternteil ist perfekt, und daher gibt es auch keine perfekte Kindheit. Der Fokus sollte nicht darauf liegen, ob Sie negative Glaubenssätze entwickelt haben, sondern welche. Auch die Beziehung zwischen den Eltern spielt dabei eine entscheidende Rolle. Eine liebevolle Partnerschaft vermittelt Sicherheit und Urvertrauen, während Konflikte, Manipulation oder Missbrauch im Kind das Gefühl von Gefahr in Bezug auf Liebe erzeugen. Im Zusammenhang mit den Eltern wachsen viele der unsicheren und vermeidenden Bindungsstile heran.
Fazit
Dieses Thema ist eigentlich zu komplex, um es in einem kurzen Text vollständig zu behandeln. Gleichzeitig ist es aber einfacher, als man denkt, seine eigenen Glaubenssätze zu erkennen. Alte Verletzungen haben uns zu Bewältigungsstrategien geführt, die uns als Kind geholfen haben, aber im Erwachsenenalter oft Probleme verursachen. Statt gegen diese Strategien anzukämpfen oder Wut auf andere zu projizieren, sollten wir uns für unseren Umgang mit den alten Verletzungen wertschätzen.
Es ist schön zu wissen, dass niemand perfekt sein muss und wir unsere Erfahrungen mit anderen teilen können. Das Leben bietet uns ständig neue Impulse, die uns von einigen Menschen entfernen und anderen näherbringen. Genau das macht den Charme des Lebens aus.
Dennoch liegt es meiner Meinung nach in der Verantwortung jedes Einzelnen, zu erkennen, wenn man sich selbst oder anderen schadet, und dann zu versuchen, etwas zu ändern. Psychotherapie kann dabei helfen und ist ein wichtiges Element für unsere mentale Gesundheit.